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Rhein-Ruhr-Magazin 03/2020

Grau: Understatement und sachliche Seriosität

Eine Hand voll Kiesel in der Hand haltend, denke ich über das Thema „Lieblingsfarbe Grau“ nach. Ich hole weitere Steine meiner Sammlung auf den Schreibtisch. Welche Vielfalt, wie nuancenreich, wie fein und differenziert.

Doch was an deutschen grauen Wänden prangt hat meist nichts mit dieser lebendigen Vielfalt der Natur zu tun und hebt sich in seiner Undifferenziertheit nur wenig ab von uniformem Weiß. Wenn es sich nicht um Materialfarbigkeit handelt, wie Beton, Schiefer, Marmor, Sandstein wirkt Grau meist flach und aussagelos. Bemüht man Redewendungen, die die Farbe Grau beinhalten, so stimmen diese auch nicht fröhlich: in Sack und Asche gehen, sich in einer Grauzone bewegen, graue Theorie, sich (keine) grauen Haare wachsen lassen, der „graue Markt“, alles Grau in Grau malen, der graue Alltag.

Warum also greifen so viele nach dieser unbunten Farbe? Warum wird dieser Farbton so oft empfohlen und zum sogar zum Trend ausgerufen? Ob nun aus der Graureihe einer Nobel Firma oder dem Farbstreifen aus dem Handwerkermarkt. Unmöglich das für all diese Kunden ein grauer Farbton die Lösung ist.

Es gibt sie natürlich, die echten Grauliebhaber. Meist mit einem sehr feinen Geschmack ausgestattet. Grau als Understatement Farbe, als Farbe der sachlichen Seriosität, der Stringenz und Klarheit, frei von jeder Effekthascherei. Grau als Architektenfarbe.

Grau hat die Eigenschaft alle anderen Farben zum Leuchten zu bringen. Als Hintergrund und Bühne zu agieren um anderes strahlen zu lassen. Grau entsteht zwar nicht nur aus Schwarz und Weiß, sondern kann auch das Ergebnis der Mischung verschiedener Buntfarben sein, doch wird Grau niemals aus sich heraus leuchten. Ein Grau wird sich immer zurücknehmen.

Nuancenreich und vielfältig: das Grau in der Natur.

Nathalie Pagels

Es mag Menschen geben, die großartige Gedanken in einer grauen Umgebung haben. Doch die meisten von uns werden von dem Grau, das ruhig wirken soll, eher ermüden. Grau wird uns nicht animieren oder anlächeln, nicht keck sein und nicht spontan wirken, nicht fröhlich, nicht heiter und nicht lebendig anmuten. Denn wenn Grau eines nicht ist, dann vital. Es bleibt also die Frage warum so viele graue Wände Einzug halten in unseren Wohnungen? Ist Grau vielleicht eine „stattdessen“ Entscheidung? Ein Hinweis darauf sich mehr und differenzierter mit den eigenen Vorlieben und dem eigenen Umfeld zu beschäftigen?

Farbe vermag unser Empfinden positiv zu verändern und hat Einfluss auf unseren gesamten Organismus. Farbe kann architektonische Mängel ausgleichen oder Besonderheiten hervorheben. Farbe kann einen Raum weiten. Farbe kann zonieren und einen Raum in einem Raum schaffen. Farbe kann helfen uns zu regenerieren, zu konzentrieren und Ordnung zu halten. Dabei geht es um den Menschen und seine Bedürfnisse. Wie groß ist unser Bedürfnis nach Grau wirklich?

Redaktion: Karin Freislederer