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Malerblatt 02/2015

Ethik der Farbgestaltung –Teil 3

Die Kommunikation mit den anderen Gewerken ist so wichtig wie die mit dem Bauherrn. Nur so können sich die Disziplinen mit ihrem Fachwissen best möglichst einbringen.

Was die Balkongeländer angeht, befürchte ich definitiv ein Zuviel. Zur damaligen Zeit war Schmiedeeisen und Gitterwerk völlig unwichtig. Ich versuche, Einfluss darauf zu nehmen. „Da hast Du ja oft mit Fachübergreifendem zu tun.“ sagt einer meiner Gesprächspartner beim Abendessen nach dem Workshop. „Dann muss ich mir das eben aneignen“ habe ich lapidar geantwortet. Das ist natürlich Quatsch. Das wäre, als würde ich einem der anderen Gewerke sagen: „Machen sie mal die Farbe.“ Aber ich kann mich einfühlen und dann mit einer Idee zum Metallbaumeister gehen und sagen: „Lieber Metallbaumeister, Du bist der Profi, Du weißt in Deinem Fach um Proportionen und um Sachzwänge. Mach ein schlichtes Muster, das die Haptik und die Konstruktion betont.“ Das Muster wird abgelehnt. Es hat aber sicherlich dazu beigetragen, dass die Endausführung wesentlich zurückhaltender wurde als angedacht.

Zum Treppenhaus schickt mir die Bauherrin Bilder zur Inspiration. Das Treppenhaus ist im Objekt jedoch niedrig, es ist kein Platz für ein Geländer, sondern nur für einen Handlauf und es gibt einen Aufzug aus dem 21 Jahrhundert. Ich versuche, aus den Bildern die Stimmung abzulesen und sie für das Haus zu übersetzen. Es gibt mittlerweile ein Nachfolgeprojekt zwei Straßen weiter. Als dort der Boden freigelegt wurde, kam exakt dasselbe Fliesendekor zum Vorschein, das wir verwandten. Nur wurde dieses hundert Jahre früher verlegt.

Als das Gartenhaus fertiggestellt ist, erinnert sich der Bauherr, dass das Haus seiner Kindheit einmal ähnlich aussah. Ehemals ebenfalls rot, später blau gestrichen.

Es gab ein großes Einweihungsfest mit allen neuen Mietern, zu dem ich auch eingeladen wurde. Keiner wusste, wer ich war. Ausgenommen den Architekten. Die Mieterin aus dem Gartenhaus stellte sich mit den Worten vor „Wir wohnen in dem Pippi Langstrumpf Haus “. Die anderen Mieter, im Alter zwischen dreißig und siebzig, schwärmten von der Farbgestaltung, ihrer Zurückhaltung, Wärme und Eleganz. Ich bin in erster Linie Dienstleister, aber einige von Ihnen werden nachvollziehen können, wie glücklich und dankbar ich an diesem Abend war. Ich fragte auch den Architekten, wie ihm die Farbgestaltung gefiele „Ich habe es noch nicht bei Sonne gesehen“, war seine Antwort. Das ist ungefähr so ein Kompliment wie „Mal was anderes“. „Da werden Sie in unseren Breitengraden eventuell lange warten müssen. Und auch dann wird sich die von Ihnen gewünschte Wirkung wahrscheinlich nicht einstellen. Das Haus wird nicht herausstrahlen. Ich habe alles unternommen, dass es das nicht tut.“ Im Gespräch wird deutlich, dass das Gebäude für den Architekten hätte Gelb sein müssen. Nachdem der Architekt mein Exposé und die Begründbarkeit der Entscheidungen gesehen hat, wird er versöhnlich und erzählt von einer schönen menschlichen Begegnung mit einem sehr renommierten Kollegen.
Ich wünschte, wir hätten uns früher kennengelernt.

FAZIT/ AUSBLICK

Hinter manchen Köpfen mag jetzt der Gedanke auftauchen: Ja, ist ja auch ein Leichtes, ein „High-End“ Kunde, das Vertrauen der Bauherren, ein ach zu schöngeistiges Projekt. Aber ich hätte Ihnen auch das soziale Wohnbauviertel in Berlin Kreuzberg als Beispiel vorführen können. Es weist wesentlich mehr Bunttöne auf, hatte im Verhältnis zum Bauvorhaben viel weniger Budget, es gab keine Einweihungsfeier und Vandalismus war dort nun wirklich ein Problem.

Die Wohnbaugesellschaft rief nach sechs Monaten an mit den Worten: „Frau Pagels, die haben immer noch nix verschmiert.“ Die von mir angewandten Wertekriterien und Leitlinien sind immer dieselben. Sie sind jeder Zeit anwendbar. Was mich zurück zu der eingangs gestellten Frage kommen lässt:

Lassen sich ethische Leitlinien einer Farbgestaltung festlegen?

1) jederzeit anwendbar
2) gewisser Allgemeinheitsgrad (für die persönliche Bilanz: …immerhin schon zwei von drei)
3) für jedermann verstehbar, überprüfbar, nachvollziehbar?

Fragen nach der Ethik werden dann laut, wenn die Wertvorstellungen einer Gesellschaft nicht mehr mit der Wirklichkeit übereinstimmen. Und zwar so lange, bis sich die neuen Wertvorstellungen etabliert haben. Wir benutzen lieber das Wort Ethik statt Moral. Vielleicht um nicht als Moralapostel abgestempelt zu werden. Aber die beiden Worte sind nicht synonym: Ethisches Denken wird erst dann gesellschaftlich verbindlich, wenn es zur „Tugend“, zur Gewohnheit, zur Sitte, zum Brauch, zur „Moral“ geworden ist. Mir scheint, in unserer Gesellschaft gilt es noch immer als unmoralisch, Farbe gleichwertig, mit Respekt und Würde zu behandeln; Zeit, Geld, Anspruch und höchste Achtsamkeit in sie zu investieren. Solange Farben am Schreibtisch entschieden werden oder man der empfindungsmäßigen Farbtonverschiebung von kleiner auf großer Fläche begegnet, indem man sie kurzfristig umgeht, ist die bestehende Moral zu hinterfragen. Moral und Wertvorstellungen ändern sich, wenn die Gesellschaft sich ändert. Letztlich sind Moral und Ethik jedoch Phänomene, die an den Einzelnen gebunden sind. Ich bin heute in der privilegierten Lage, nur die Frage zu stellen. Da ich die Frage nach der Ethik aber gestellt habe, um meine eigenen Werte zu überprüfen, möchte ich Ihnen eine meiner möglichen Antworten nicht vorenthalten. Es ist ein Zitat von Ludwig Wittgenstein, auf das ich bei meiner Recherche gestoßen bin. Ich las es zu einem Zeitpunkt, als ich mich gefragt habe: „Was zum Teufel mache ich hier eigentlich?“ Es ließ mich über mich selbst lachen und diesen Vortrag zu Ende schreiben.

Nur kein transzendentales Geschwätz,
wenn alles so klar ist wie ein Watschen.

Ludwig Wittgenstein 1917
Redaktion: Ulrich Schweizer