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Malerblatt 01/2015

Ethik der Farbgestaltung – Teil 2

Mit welchen Unwägbarkeiten müssen Farbgestalter*innen rechnen? Und wie kann verantwortungsvolle Gestaltung entstehen? Davon erzählt Teil 2 der Folge „Gibt es eine Ethik der Farbgestaltung?“

Ethik ist die praktische Philosophie, denn sie fragt, wie wir uns in der Praxis verhalten sollen. Wem kann ich Respekt entgegenbringen? Wie zeigt sich Würde? Da sind der Architekt und der Bauherr und die Nutzer. Da sind Nachbarn, ausführende Gewerke, vielleicht Zulieferer. Die Architekten möchte ich an dieser Stelle um Verzeihung bitten. In den letzten 20 Jahren habe ich Erfahrungswerte mit ihnen gemacht, die mich mit der Zeit in Bezug auf ihren Berufsstand zynisch werden ließen. Ich lachte über den Witz des „Architekten Regenbogens“, der aus weiß, schwarz und verschiedenen Grautönen besteht. Ich fing an, dieselbe Borniertheit zu leben, die ich ihnen jahrelang vorwarf. Aus einer solchen Haltung heraus wird es keine Annäherung geben. Das soll nicht heißen, dass es nicht jede Menge Diskussionsbedarf gibt, aber die Schere soll sich schließen und nicht noch weiter auseinandergehen. Am Objekt zeige ich meinen Respekt und würdige seine Arbeit, indem ich sie verstehen, nachvollziehen und unterstützen will.

Der Bauherr. Ich zeige ihm meinen Respekt, indem ich wirklich zuhöre, seine Bedürfnisse erkenne und versuche, einen guten Dialog in alle Richtungen zu kultivieren. Ich zeige ihm meinen Respekt auch, indem ich auf Wünsche nicht blind nicke, oder den Kopf schüttle, sondern sie ernst nehme und mich rational UND mitfühlend mit ihnen auseinandersetze.

Die Nachbarn, oder die Umgebung, das Dorf, die Gemeinschaft. Denken wir nur an das rote Haus gegenüber dem Friseur.

Am Abend des Entwicklungsworkshops gehen wir alle zusammen essen. Wir kommen auf Göttingen, und ich erzähle von meinem aktuellen Projekt. Einer Farbgestaltung von zwei Bauwerken. Das erste ein Neubau im Klassizistischen Stil inmitten alter Villen aus der Jahrhundertwende. Das zweite Gebäude, ein verwahrloster 60er Jahre Bau, das sogenannte Gartenhaus. Es hätte eigentlich abgerissen werden sollen. Da es sich aber auf der größten zusammenhängenden Grünfläche der Stadt Göttingen befindet, dürfte dann nichts Neues gebaut werden. Bei der Recherche grabe ich mich in das Thema ein und bitte auch meine „Farbfreunde“, die näher am Thema historische Farbigkeit sind als ich, um Hilfe. Danke für die Unterstützung. Ich erfahre, dass man auf der Suche nach der „historischen Wahrheit“ manchem Irrtum unterlag. So nahm man lange den Erstanstrich als Referenz, bis man entdeckte, dass es sich hierbei oft um eine Art „Voranstrich“ handelte, den die damaligen Maler aus Farbresten zusammen mischten.

Der größte Irrtum war sicherlich das historische Vorbild der Antike, aus dessen falschem Verständnis heraus die Fassaden in reinem Weiß, oder nur schwach gesättigten Farbtönen gefasst wurden. Meist entsprach die Putze der Farbigkeit des dort vorherrschenden lokalen Steins. Synthetische Pigmente, wie sie überwiegend in den Blau- und Grüntönen herrschten, waren teuer. Als Ende des 18. Jahrhunderts Funde belegten, dass die Antike farbig war, erhitzten sich die Gemüter und es kam zum so genannten Polychromie Streit.

Woraus also entlehnt sich nun die Farbigkeit eines Gebäudes, das in der Jetztzeit des 21. Jahrhunderts entsteht und sich in seiner Gestaltung vergangener Epochen bedient? Gibt es einen respektvollen, würdevollen Umgang mit der Umgebung, mit der Geschichte und der Gegenwart?

Das Gartenhaus:

Die Bauherren sind nicht glücklich über dieses Gebäude. Es hat eine unschöne Geschichte und sie würden es am liebsten abreißen. Im Dialog wird es möglich, meine Leitlinien und den Mehrwert beider Immobilien zu vermitteln, wenn das Gartenhaus nicht stiefmütterlich, sondern mit derselben Aufmerksamkeit und Achtsamkeit gestaltet wird wie der große Bruder.

Ich sehe noch das Schmunzeln meines Tischnachbarn bei jenem Abendessen in Wuppertal, als ich sagte: Aus dem Bestandsgebäude möchte ich so ein richtiges Pippi-Langstrumpf-Haus machen.

Drei Tage nach dem Briefing kommt eine Mail des Bauherrn, „Bei Dir setzt jetzt wahrscheinlich die Schnappatmung ein, aber wir brauchen die Fensterfarbe in drei Wochen“. Der Bauherr kannte mich, es war unser drittes gemeinsames Projekt. Jeder, der mit Farbe arbeitet, weiß, eine Fensterfarbe kann ich nur wählen, wenn ich weiß, wie die Fassade wird, wenn ich weiß, wie die Fassade wird, weiß ich, wie ich an das Treppenhaus rangehe, u.s.w. Dennoch kosten Verzögerungen aller Art richtig Geld und so gehe ich den Weg mit und versuche, das Pferd von hinten aufzuzäumen. Die Fensterfarbe soll eine sein, mit der jeder Mieter leben kann, im wörtlichen Sinne. Denn es beeinflusst ja auch die Atmosphäre im Inneren. Die Fensterfarbe darf animieren, die Wohnung farblich zu gestalten, aber es nicht vorgeben. „Ich habe noch die Faschen für Akzente“, tröste ich mich selbst zu diesem Zeitpunkt.

Kurze Zeit später kommt eine zweite Mail: „Hilf mal bitte auf die Sprünge. Mit dieser Farbe bekommen wir keine Wohnung vermakelt.“  Zu diesem Zeitpunkt steht das Gebäude noch gar nicht. Doch ab jetzt muss ich mich festlegen. Alles, was ich bisher habe, ist eine vage Vorstellung. Das Gebäude soll monochrom gestaltet werden. Ich entscheide mich gegen die für die Region typische rote Sandsteinfarbe. Die umliegenden Häuser weisen ihn nicht auf, das Gebäude soll sich aber sanft einfügen. Es ist ein Neubau, doch er soll aussehen, als hätte er schon immer dort gestanden. Und soll in zwanzig Jahren möglichst immer noch gut aussehen. Die Entscheidung fällt auf matte, mineralische Farben. Die breite Auswahl wird immer reduzierter, ein noch kleinerer Fächer, schließlich lande ich bei einem Fächer für historische Farben. Die Grundstimmung ist nun festgelegt.

Was der große Bruder an Zurückhaltung verlangt, verlangt dieser Bau nach einer beherzten Verjüngungskur. Es soll selbstbewusst und keck ganz ebenbürtig neben dem Neubau stehen dürfen.

Das Haupthaus:

Im weiteren Verlauf ist zu spüren, dass die Nachbarschaft mit Argusaugen auf den fortschreitenden Neubau Bau blickt. Einer der Architekten, der einzige, den ich während der Bauzeit zu Gesicht bekomme und der die Bauleitung innehat, macht sich große Sorgen, was Vandalismus betrifft. Es werden die absurdesten Überlegungen bezüglich eines Schutzes angestellt. Alles Anhaltspunkte, den Bau zurückhaltend erscheinen zu lassen, elegant aber eher ein „Understatement“. Ein feiner Farbklang an Unbunten. Auf der Suche nach Farbton, Helligkeit und Sättigung trage ich wochenlang DIN A4 Farbtonmusterkarten mit mir herum und mustere Sandsteinfassaden ab. Meine Haltung: Wenn das Gebäude nicht protz, hat man keinen Vandalismus zu befürchten.

Am Ende und nach Probeanstrichen auf großen Platten, mit denen wir rund um das Haus gehen, setze ich keine Akzente. Im Gegenteil, die Farbtöne liegen so dicht beieinander, dass sie erst auf den zweiten Blick wahrgenommen werden. Im Sockelbereich sind sie sogar identisch. Später wird mir der Bauherr erzählen, die Nachbarn hätten sich bedankt, dass ihre Straße aufgewertet wurde.

Wie andere Gewerke mit in die Verantwortung einbezogen werden können und wie wichtig Dialog und aktives Zuhören sind, erzählt der dritte und letzte Teil.

Redaktion: Ulrich Schweizer