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Malerblatt 12/2014

Ethik der Farbgestaltung – Teil 1

Was könnten die Bausteine einer „Ethik der Farbgestaltung“ sein? Welche Wertekriterien könnten angelegt werden? Diesen und anderen Fragen geht Nathalie Pagels in ihrem Vortrag nach.

Gibt es eine Ethik der Farbgestaltung?

Auf der internationalen Konferenz „Farbe als Experiment“ an der Bergischen Universität Wuppertal sorgte der Vortrag „Gibt es eine Ethik der Farbgestaltung?“ von Nathalie Pagels für reges Interesse. In drei Veröffentlichungen wird der Vortrag hier im Original wiedergegeben:

Zur Vorbereitung auf die Konferenz „Farbe als Experiment“, gab es einen Entwicklungsworkshop. Auf der Zugfahrt dorthin dachte ich, „ist eigentlich schade, das habe ich schon lange nicht mehr gemacht.“ Experimente, nach meiner damaligen Definition waren spannend, aufregend und sie schafften Bewusstsein. Doch kosten sie auch viel Zeit, Geld und körperlichen Einsatz. Die Miete ließ sich mit ihnen nicht bezahlen. Man stelle sich das Gesicht meiner Kunden und Bauherren vor, wenn ich sagte: „Ich habe da mal ein Experiment vor.“

So glaubte ich nicht viel zum Thema beitragen zu können, bis ich die Frage in den Raum stellte: „Wie ist denn die Definition von Experiment?“ „Einem Experiment muss eine Frage vorangehen!“ Eine Frage geht jedem meiner Projekte voran. Viele Fragen. Darin besteht die Hauptarbeit. Aber welche Fragen sind es, die ich stelle? Es sind die Fragen nach richtigem oder falschem Handeln. Aber nach welchen Kriterien entscheide ich denn, was richtig oder falsch ist? Aus welchem Grund entscheide ich? Was ist meine Motivation? Habe ich Leitlinien? Wenn ja, welche? Und: Ist die Suche nach dem richtigen Handeln und seiner Begründbarkeit nicht Ethik?

Als ich die Idee zu diesem Experiment kommunizierte, gab es im Wesentlichen drei unterschiedliche Reaktionen: Die Erste davon war Skepsis, Irritation, sogar Hohn.

Wie konnte ich mir anmaßen, ein so großes Wort wie Ethik mit einem so kleinen Wort wie Farbgestaltung in Verbindung zu bringen? Aber sind denn die beiden Worte nicht gleich groß? Bin nicht ich es, die sie mit Bedeutung füllt? Ist es nicht sogar so, dass das Wort Ethik ganz klein wird, wenn es das Wort Farbgestaltung nicht auszufüllen vermag?

Die zweite Reaktion waren direkte Assoziationen zur Farbgestaltung (oder deren Folgen), ohne an einzelnen Worten hängenzubleiben. So berichtete mir eine Mutter von dem roten Haus gegenüber einem Friseursalon.  Der Friseur will nun klagen, weil es ihm nicht mehr möglich ist, unter objektiven Bedingungen Haare zu färben. Oder die Dame, die dreimal bei Regen an einer Häuserzeile mit drei bunten Häusern vorbeifuhr, um mir ein Video von ihrem Smartphone zu schicken. Oder der Malermeister, der so traurig über das jetzt blaue Gebäude gegenüber der alten Feuerwehr ist. Oder der Nachbar, der findet, dass das neu gestrichene Haus in unserer Straße irgendwie „unecht“ aussieht. Kann ich nur ethisch sein, wenn ich Arzt bin, nicht aber wenn ich einen die Oberfläche gestaltenden Beruf ausübe? Zeigt sich Ethik, wenn ich mein Fleisch vom Bio-Metzger kaufe, nicht aber wenn ich ein Farbkonzept erstelle? Ist Ethik und die damit verbundene Urteilskraft nicht fachspezifisch einzusetzen? Vergleicht Aristoteles dies nicht mit der Kunst des Arztes und des Steuermanns? Ist Ethik denn überhaupt teilbar? Versucht man nicht entweder ethisch zu handeln oder nicht? Die dritte Gruppe schließlich sagte: Interessant, wie gehst Du denn da ran? Dieser Gruppe ist es zu verdanken, dass ich heute hier fragend stehen darf.

Ethik bezeichnet man auch als die praktische Philosophie, weil sie sich mit dem menschlichen Handeln befasst. Ethik befasst sich mit Moral und ihrer Begründbarkeit. Moral ist ein Verhaltenskodex gewisser Gruppierungen zu einer gewissen Zeit und ist wandelbar. Es gab eine Zeit, da galt es als unmoralisch, sich scheiden zu lassen, als Frau Hosen zu tragen, oder gleichgeschlechtliche Liebe zu leben. Die Ethik hat diese Sitten und Bräuche hinterfragt, bis sich die Moralvorstellungen innerhalb der Gesellschaft verändert haben.

Eine Ethik legt fest, welchen Werten der Mensch im Leben folgen soll. Sie fragt: „Was ist der Mensch wert?“ Dabei setzt sie die Fähigkeit voraus, die Situation selbstverantwortlich zu beurteilen. Auf dem Rückweg sitze ich im Zug und denke an die früheren Experimente, also die, mit denen man die Miete nicht bezahlen kann. Waren sie ethisch motiviert? Die Frage nach der Ethik in der Farbgestaltung stellt sich mir, um meine eigenen Werte zu überprüfen und auch dem, was ich von ihnen verlange. Ethik basiert auf Würde und Respekt. In meinem Fachbereich also der Respekt und die Würde gegenüber der Gestaltung, der Farbe und dem Menschen.

Experiment Gestaltung

Die Anonymen Gestalter zollen der Gestaltung Würde und Respekt, die ohne Profit, Profilierung oder Personenkult auskommt, der anonymen Gestaltung. Grundlage ihrer Inspiration ist nicht der Trend, sondern der Nutzen, der Bedarf, die Funktion, der Zweck. Sie gehen auf die Pirsch, um diese Gestaltung aufzuspüren und stellen sie auf der Designers Fair in Köln ins Rampenlicht. Sie geben ihnen eine Bühne, um zu zeigen, wie gut, wie einfach, wie facettenreich, wie kreativ und lebendig diese unzensierte Gestaltung sein kann. Gestaltung, die aus Lust entsteht, oder aus der Not heraus, oft unbewusst – genauso oft unentdeckt.

Experiment Farbe

Und worin zeigt sich der Respekt der Farbgestalterin gegenüber der Farbe?Wie ist Farbe zu würdigen? Auf einer Ausstellung der Gestaltergruppe „Teilmöbliert“ experimentierten wir damit, wie diese Würde, dieser Respekt und diese Liebe zur Farbe bildhaft dargestellt werden könnte und es entstand die Installation WGS 1. Die Ausstellung war in einem Rohbau. Im Hintergrund waren die Geräusche aus dem Kölner Dom an einem Samstag Nachmittag zu hören und es duftete nach wertvollem Räucherwerk.

Respekt empfinde ich vor der Größe Farbe, ihrer Macht, ihrem Zauber, ihrer Berechenbarkeit und ihrer Unberechenbarkeit, davor, dass es mir unmöglich ist, eine Farbe aus dem Gedächtnis abzumustern, davor dass es Diplomarbeiten über die empfindungsmäßige Verschiebung von Farbton, Helligkeit und Sättigung von kleiner auf großer Fläche gibt. Ich habe Respekt vor dem Wesen der Farbe, ihrer körperlichen Wirkung, ihrem Symbolcharakter, ihrer psychologischen Wirkung, ihrem funktionalen Charakter, der uns das Leben erleichtert und ihre Magie, mit der sie uns das Leben verschönert. Würde gebe ich ihr, indem ich sie nicht leichtfertig einsetze, sondern mit Herz und Verstand, mich an ihr erfreue und diese Freude teilen möchte.

Experiment Mensch + Farbe

Das dritte experimentelle Projekt war ein Buch, das den Titel „Welche Farbe hat Weihnachten?“ trägt. Diese Frage stellten wir 25 Menschen. Werten Kollegen, die hier ebenfalls referieren, aber auch einem Arbeiter, einer Anwältin, einem Gewaltforscher und einer Putzfachkraft. Wir fragten einen Buddhisten, einen Juden, einen Atheisten und einen evangelischen Pfarrer. Am Ende des Buches antwortet uns sogar eine Blinde. Ihre Antworten waren so unterschiedlich und vielfältig wie die Menschen und die Farben selbst, denen wir dieses Buch widmeten.

Das Experiment:
Ziel der Ethik ist die Erarbeitung von allgemeingültigen Normen. Diese müssten:

1) jederzeit anwendbar sein
2) einen gewissen Allgemeinheitsgrad haben,
3) für jedermann verstehbar, überprüfbar und nachvollziehbar sein.

In der Folge werden Fragen und Begriffe benutzt, die scheinbar längst ihre Aussagekraft verloren haben und zu leeren Worthülsen geworden sind. Kaum eine Webseite kommt ohne sie aus. Auch meine nicht. Und so stelle ich diese Frage, um Impulse zu geben, sich (wieder) bewusst mit ihnen auseinanderzusetzen. Dabei sind die Begriffe nicht getrennt voneinander zu sehen. Nach meiner Ansicht beinhalten sie sich gegenseitig. Wertkriterien für eine „Ethik der Farbgestaltung“ könnten sein:

Menschlichkeit
Farben haben eine Wirkung. Immer. Und mit jeder Farbentscheidung, die wir treffen, setzen wir eine Ursache. Ist es nicht unsere Pflicht, die bestmöglichen Ursachen zu setzen, um für die Menschen die bestmögliche Wirkung zu erzielen?

Funktionalität
Ist die Farbigkeit der Raumfunktion entsprechend?
Dem Licht
Der Struktur?
Dem Material?
Ist es orientierungsfreundlich?
Ist es der Aufenthaltsdauer entsprechend?
Spricht die Gestaltung unsere Sinne an? Denn auch das ist eine Funktion der Farbe.

Achtsamkeit
Ist das Briefing gut?
Höre ich aktiv zu?
Wurde sorgfältig recherchiert?

Verantwortung
Übernehme ich die Verantwortung für das eigene Handeln?
Weiß ich um die Farbphänomene?
Weiß ich um die kulturellen und lokalen Gegebenheiten?
Gibt es einen reibungslosen Ablauf?
Termingerechte Abgabe?
Sorge ich für einen guten Dialog?
Bringe ich mein Wissen zum Nutzen aller ein?

Nachhaltigkeit
Ist die Material- und Produktwahl sorgsam gewählt?
Hält die Gestaltung der Zeit stand?
Kann sie Vandalismus entgegenwirken?
Fördert sie Identität?

Ökonomisch/ Ökologische Gesichtspunkte
Wird gewissenhaft geprüft, welche Erneuerungen nötig sind?
Werden vorhandene Elemente mit einbezogen?
Ist die Gestaltung im ausgewogenen Verhältnis von Nutzen und Verbrauch?
Entsprechen die verwendeten Produkte den Kriterien für einen verantwortungsvollen Umgang mit der Umwelt?

Aufrichtigkeit
Gebe ich meine aufrichtigen Empfehlungen, auch wenn sie von den Vorstellungen des Auftraggebers abweichen? Stelle ich den Entwurf realistisch vor? Oder ist er geschönt?

Kommunizierbarkeit
Ist die Gestaltung durchdacht und in sich schlüssig? Ist sie verstehbar und nachvollziehbar? Sind die Einbeziehung der Betroffenen und ihre Interessen vermittelbar? Herrscht ein guter Dialog unter den verschiedenen Disziplinen?

Darüber, wie sich Würde und Respekt zeigen kann, berichtet Folge 2.

Redaktion: Ulrich Schweizer